17. April 2023 16:06
Gewerkschaftskritik zur BVG-Reform
Auch wenn es genügend Gründe gäbe, die aktuelle Reform der zweiten Säule abzulehnen – zum Beispiel die massive Überkompensation, die sich kontraproduktiv aufs Ziel auswirkt – können manche Gewerkschafter es weiterhin nicht lassen, Falschinformationen zur Reform zu verbreiten. Ob sie dies absichtlich tun sei dahingestellt.
SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard bezeichnet die Reform als «aus der Zeit gefallen». Seine Kritik: die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent sei eine Idee aus der Zeit der Negativzinsen.
Tatsächlich ist in letzter Zeit das Zinsniveau gestiegen, was das Renditepotenzial auf dem Vorsorgevermögen erhöht. Aber reicht das auch, um auf eine Senkung des Umwandlungssatzes zu verzichten? Die Antwort lautet klar und eindeutig: Nein. Fachexperten wie Reto Leibundgut, Pensionskassen-Experte beim Beratungsunternehmen C-alm, bezeichnen die Aussage gar als «absurd».
Experte Thomas Breitenmoser sagt gegenüber CH Media, die Zinswende mache die Senkung des Umwandlungssatzes keineswegs überflüssig. Dabei argumentiert er nicht politisch, sondern rein mit Zahlen.
«Wie viel Rente aus dem angesparten Altersguthaben ausbezahlt werden kann, ergibt sich im Grundsatz aus zwei Faktoren: der Lebenserwartung und dem Zinsertrag. Bei einem Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent bräuchte es laut Breitenmoser aktuell ein Zinsversprechen von 4,8 Prozent, damit die Renten ohne systemwidrige Umverteilung ausbezahlt werden können.
Die Pensionskassen müssten also auf dem Kapital der laufenden Rentenbezüger jährlich 4,8 Prozent verdienen, damit es zu keiner Umverteilung kommt. Bei einem Umwandlungssatz von 6,0 Prozent, wie es die Reform vorsieht, sänke dieser Zinssatz derzeit auf 3,6 Prozent. «Damit wäre man näher an der Realität», sagt Breitenmoser. Die zurzeit erwartete Rendite von durchschnittlichen Pensionskassen liege bei etwa 3,4 Prozent; abzüglich Kosten sei man bei gut 3,2 Prozent.»
Die Umverteilung würde also nicht ganz verschwinden, aber deutlich reduziert. In den nächsten Jahren dürfte sie eher wieder ansteigen, sagt Breitenmoser: «Die wichtigste Komponente, die den Umwandlungssatz unter Druck setzt, ist die Lebenserwartung, und diese dürfte weiter steigen.»
Konfrontiert mit diesen Fakten weichen Gewerkschafter aus, um davon abzulenken, dass ihre Forderungen sich jenseits der Realität bewegen.
Durch die rasche Zinswende müssten die Renten jetzt der Teuerung angepasst werden, sagt Sprecher Urban Hodel, und ignoriert schnell mal nebenbei die Tatsache, dass die Renten in der zweiten Säule aus dem individuell angesparten Kapital bezahlt werden, dass sich ja nicht plötzlich dermassen selbst vermehrt, dass es einen massiven Überschuss abwirft, nachdem es bisher nicht einmal zur Finanzierung einer Rente bis zum Lebensende ausreichte.
Und fährt weiter: «Die meisten Versicherten sind im Überobligatorium versichert und vom gesetzlichen Umwandlungssatz nicht betroffen. Die Pensionskassen haben diese Umwandlungssätze in den letzten Jahren längst deutlich unter 6 Prozent gesenkt. Nun, da die Zinsen steigen, stellt sich die Frage: Geht es jetzt in die andere Richtung?» – Da mag er recht haben, aber er verschweigt die Tatsache, dass dies nur in den Pensionskassen mit Überobligatorium möglich ist und dass dies genau die Pensionskassen sind, für die es die Reform der zweiten Säule gar nicht braucht und die davon auch gar nicht betroffen wären, hätten nicht seine eigenen Leute eine Überkompensation durchgesetzt, die nun in diesen Pensionskassen eine Rentenerhöhung verursacht. Wozu also dann noch einen Teuerungsausgleich, der ja – genau wie die unnötige Rentenerhöhung – durch die jüngeren Generationen finanziert werden müsste, denen das Geld dann später selbst fehlt.
So sieht es auch Experte Leibundgut. Er warnt davor, die Umwandlungssätze vorschnell zu erhöhen. «Wir dürfen nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen.» Schliesslich gelte der festgelegte Satz von der Pensionierung bis zum Tod, also während 20 bis 25 Jahren. «Darum muss man Vorsicht walten lassen, sonst gibt es erneut eine Umverteilung.»
Er rät Pensionskassen, den Umwandlungssatz lieber etwas tiefer zu lassen und sich dafür zu verpflichten, im Fall von systematisch höheren Anlageerträgen eine faire und transparente Überschussbeteiligung zu machen. Das heisst: Erwirtschaftet eine Pensionskasse in einem Jahr einen grossen Ertrag, sollen die Versicherten und die Rentenbezüger beteiligt werden - und zwar vor allem jene, die beispielsweise wegen eines tiefen Umwandlungssatzes schlechter gestellt sind. «Es wäre falsch, ein solches System gesetzlich einzuführen, denn das können die Kassen am besten selber entscheiden», sagt Leibundgut gegenüber CH Media.
Diesen Eintrag kommentieren