16. Februar 2023 14:57
Wirtschaft schluckt Kröte
Die Neue Zürcher Zeitung hat gestern berichtet, der bisher sehr kritische Gewerbeverband bezeichne den jüngsten Vorschlag aus der zuständigen Parlamentskommission trotz hoher Kosten als «verkraftbar». Der Arbeitgeberverband hülle sich aber weiterhin in Schweigen. Somit bahnt sich nun vielleicht doch eine Mehrheit für den Ausbau der beruflichen Vorsorge an. Zur Erinnerung: die Reform hat nicht zum Ziel, die Rentenzahlungen auszubauen. Denn weil die zweite Säule ähnlich wie ein Sparkonto funktioniert, kann ein Ausbau für die einen nur durch Geld finanziert werden, das eigentlich anderen gehört – in diesem Fall den jüngeren Generationen. So ist es auch mit den heute zu hohen Rentenversprechen gegenüber 14 Prozent der Versicherten. Auch diese können nur durch Renditen der Erwerbstätigen finanziert werden. Manch einer bezeichnet dies als einen regelrechten Rentenklau... Es bahnt sich also im Parlament der Ersatz des einen «Rentenklaus» durch einen neuen, anderen «Rentenklau» an.
«In der März-Session des Bundesparlaments dürfte sich entscheiden, ob die mühselige Debatte zur Rentenreform in eine mehrheitsfähige Lösung mündet. Es geht um die berufliche Vorsorge – die zweite Vorsorgesäule via Pensionskassen. Die Gewerkschaften haben das Referendum schon angekündigt, bevor klar ist, was das Parlament beschliesst», heisst es in der NZZ weiter.
Pikanterweise haben die Gewerkschaften das Referendum jedoch nicht angekündigt, um gegen den Rentenklau vorzugehen, sondern weil ihnen der Rentenklau zu wenig weit geht. Sie wollen noch mehr Umverteilung von den jüngeren zu den älteren Versicherten.
«Die Linke hat fundamental Mühe mit der beruflichen Vorsorge, weil man dort im Prinzip für sich selber spart: Es gibt zwar versteckte Umverteilungen von oben nach unten und von Jung zu Alt, doch sie sind nicht mit der gleichen Lockerheit machbar wie in der AHV. Der Treiber der laufenden Reform war der Versuch zur Reduktion der Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern durch Senkung der minimalen Jahresrente im obligatorischen Teil von 6,8 auf 6 Prozent des Vorsorgekapitals. Rechnerisch wären beim derzeitigen Zinsniveau auch 6 Prozent noch zu hoch angesichts der Lebenserwartung und der Renditeerwartungen, doch es wäre ein Schritt in Richtung mehr Generationengerechtigkeit.»
Wir erleben gerade ein klassisches Beispiel dafür, wie Klientelwirtschaft und Profilierung sinnvolle und sachorientierte Lösungen verhindern. Korrekt wäre es, die Reform auf die 14 Prozent Betroffene zu beschränken und die Finanzierung durch die Reserven zu erlauben, die die betroffenen Pensionskassen extra dafür gebildet haben.
«Gemäss den jüngsten Rauchzeichen dürften die bürgerlichen Parteien eine solche Reform trotz erheblichen Mehrkosten am Ende schlucken. Ein grosses Fragezeichen war aber lange Zeit das Gewerbe. Der Gewerbeverband hatte sich wiederholt kritisch geäussert. In einer Referendumsabstimmung hätte eine Vorlage gegen den Widerstand der Linken und des Gewerbes wenig Chancen. Doch plötzlich sind aus dem Gewerbeverband neue Töne zu vernehmen. Die Vorlage der Sozialkommission des Nationalrats wäre «verkraftbar», sagt Kurt Gfeller. Er ist Vizedirektor des Gewerbeverbands und zuständig für die Sozialpolitik. Die Nationalratskommission sei den Gewerbeanliegen entgegengekommen. Grund für diese Einschätzung: Die vorgesehene Halbierung des nichtversicherten Lohnteils führt bei den tieferen Einkommen zu einer kleineren Kostenerhöhung als das Modell des Ständerats, der den nichtversicherten Teil auf 15 Prozent des Lohns beschränken wollte. ... Formal wären diese Beträge je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber zu bezahlen. Doch die Arbeitgeber würden versuchen, diese Zusatzkosten mittelfristig auf die Angestellten und die Kunden zu überwälzen.
Auch im bürgerlichen Lager ist kaum jemand begeistert über eine solche Reformvariante. Aber zurzeit scheint etwa folgende Überlegung im Vordergrund zu stehen: Es sei wichtig, dass das Parlament eine Vorlage beschliesse, um zu zeigen, dass die berufliche Vorsorge reformfähig sei – und sollte die Linke mit ihrem Referendum an der Urne erfolgreich sein, könnte sie das Scheitern der Reform nicht den Bürgerlichen anlasten. ...
Die Wirtschaftsverbände wollen allem Anschein nach nicht als Totengräber der Reform dastehen. Während der Gewerbeverband nun Kompromissbereitschaft signalisiert, sagt der Dachverband der Arbeitgeber aufgrund interner Spaltungen gar nichts zu den Inhalten. Jene Branchenverbände, die sich jüngst im Arbeitgeberverband äusserten, kritisierten mehrheitlich die «zu breiten» Rentenzuschläge zulasten der Jüngeren in dem Modell, das dann die Nationalratskommission übernahm. Doch wo innerhalb des Dachverbands die Mehrheiten liegen, ist nicht ganz klar. Dieser nahm denn auch auf Anfrage keine Stellung zu den diskutierten Varianten.»
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