Allgemein

30. Januar 2023 16:54

OECD kri­ti­siert Schwei­zer Pra­xis

In ver­schie­de­nen Zei­tun­gen des Ta­me­dia Kon­zerns wird heu­te be­rich­tet, dass man­che Ge­mein­den das an­ge­spar­te Geld aus der be­ruf­li­chen Vor­sor­ge, das für den Le­bens­un­ter­halt im Al­ter vor­ge­se­hen ist, mit So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen ver­rech­nen. Da­bei herr­sche völ­li­ge Will­kür, denn wäh­rend die ei­ne Ge­mein­de dies so hand­ha­be, kön­ne es schon in der Nach­bar­ge­mein­de völ­lig an­ders sein. 

Die­se Pra­xis sei kei­ne Aus­nah­me, son­dern vie­ler­orts üb­lich. Der Grund da­für sei, dass die So­zi­al­hil­fe in der Schweiz als Schuld be­trach­tet wird. Des­halb ha­be die Or­ga­ni­sa­ti­on für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (OECD) das Schwei­zer Sys­tem auch schon als nicht zeit­ge­mä­ss kri­ti­siert («ar­chaic fea­tu­res»). Denn vie­le eu­ro­päi­sche Län­der hand­ha­ben das an­ders. So muss et­wa in Deutsch­land die So­zi­al­hil­fe nicht zu­rück­er­stat­tet wer­den.

Be­mer­kens­wert sei zu­dem, dass es von Kan­ton zu Kan­ton und so­gar von Ge­mein­de zu Ge­mein­de gros­se Un­ter­schie­de gibt. Für So­zi­al­hil­fe­be­zü­ger sei es al­so je nach Wohn­ort Glückssa­che, ob sie ih­re Gut­ha­ben aus der zwei­ten Säu­le zur Si­che­rung ih­rer Al­ters­ren­te ver­wen­den dür­fen oder nicht.

Die Zei­tun­gen schrei­ben: 

«Ver­ein­facht gibt es in der Pra­xis fol­gen­de drei Va­ri­an­ten:

1. Die Ge­mein­de über­lässt das Frei­zü­gig­keits­gut­ha­ben aus der zwei­ten Säu­le der Per­son, die So­zi­al­leis­tun­gen be­zo­gen hat. Die­se kann das Spar­ka­pi­tal auch als Ren­te be­zie­hen.

2. Die Ge­mein­de ver­langt einen Vor­be­zug der zwei­ten Säu­le schon vor dem AHV-Ren­ten­al­ter (in der Re­gel ab 60 Jah­ren). Dann wird die So­zi­al­hil­fe ein­ge­stellt und die be­trof­fe­ne Per­son muss ih­ren Le­bens­un­ter­halt aus dem vor­be­zo­ge­nen Al­ter­ss­par­gut­ha­ben be­strei­ten. So bleibt da­von beim Ein­tritt ins or­dent­li­che Ren­ten­al­ter meist nichts mehr üb­rig.

3. Die Ge­mein­de setzt durch, dass das Ka­pi­tal aus der zwei­ten Säu­le nicht nur früh­zei­tig aus­be­zahlt, son­dern auch gleich für die Rück­er­stat­tung be­reits be­zo­ge­ner So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen ver­wen­det wird. So bleibt für die be­trof­fe­ne Per­son nur noch ein Teil des Al­ter­ss­par­gut­ha­bens üb­rig – oder im schlimms­ten Fall gar nichts. Manch­mal wird die Rück­er­stat­tung auch oh­ne Vor­be­zug ver­langt.

Das hat ei­ne ge­wis­se so­zi­al­po­li­ti­sche Bri­sanz. So stellt sich un­ter an­de­rem die Fra­ge, wie weit es für Men­schen, die auf So­zi­al­hil­fe an­ge­wie­sen sind, in die­ser Fra­ge über­haupt Rechts­si­cher­heit gibt. In ei­ner bis­her noch nicht ver­öf­fent­lich­ten Stu­die un­ter­sucht die Fach­hoch­schu­le Nord­west­schweiz (FHNW) die­se Un­ter­schie­de. Die em­pi­ri­sche Stu­die be­steht ei­ner­seits aus ei­ner Er­he­bung und an­de­rer­seits aus ei­ner qua­li­ta­ti­ven Stu­die, die zeigt, wie So­zi­al­diens­te Fall­bei­spie­le in der Pra­xis um­set­zen. Be­rück­sich­tigt wur­den die Kan­to­ne Aar­gau, St. Gal­len, Thur­gau, Schaff­hau­sen und Zü­rich. An der Er­he­bung ha­ben 190 Ge­mein­den teil­ge­nom­men. Die auf­wen­di­ge qua­li­ta­ti­ve Aus­wer­tung wur­de bis­her mit 26 ver­schie­de­nen So­zi­al­diens­ten durch­ge­führt.

(...)

Weg­wei­sen­des Ur­teil in St. Gal­len?
In­ter­essant ist in die­sem Zu­sam­men­hang ein kürz­lich ver­öf­fent­lich­tes Ur­teil des St. Gal­ler Ver­wal­tungs­ge­richts. Es be­stä­tig­te, dass es für einen Be­trof­fe­nen nicht zu­mut­bar sei, bis zur Pen­sio­nie­rung be­reits von sei­ner Al­ters­vor­sor­ge le­ben zu müs­sen. Das noch nicht rechts­kräf­ti­ge Ur­teil stützt sich auf Ent­schei­de zum Schutz von Vor­sor­ge­gut­ha­ben auf Bun­des­ebe­ne. Die Ge­mein­de ar­gu­men­tier­te vor Ge­richt ver­geb­lich mit der Ge­mein­de­au­to­no­mie.
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#BVG #Altersvorsorge #Zweite Säule #BVG-Mindestzinssatzes #Pensionskassen #Rente #berufliche Vorsorge

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Simon Wyss • 11 Monate, 1 Woche her

In der Gemeinde, wo ich wohne, hat man verfügt, dass ich mir mein Guthaben ausbezahlen lasse. Seit zwei Jahren ist mein Sozialhilfegeld um etwas mehr als 27 Franken im Monat geringer. In einem Jahr werde ich zur Frühpensionierung gezwungen werden, damit ich endgültig aus einem anderen Kässeli gespeist bin. Man ist stolz darauf, eine Sozialhilfequote von nur 1,6 Prozent zu haben, was aber bei gut zehntausend Einwohnern doch 170 Fälle sind. Bis dahin muss ich nun noch 100 Anstellungsbemühungen nachweisen und an schwammig formulierten Coachingprogrammen teilnehmen, die ausser der Beratungsfirma niemanden etwas bringen. Den steuerzahlenden Bürgern ist es egal, was im öffentlichen Dienst passiert. Alles Lamentieren ist nutzlos, der Souverän ist so sozial wie Louis XIV.
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