12. Januar 2023 16:14
BVG-Reform: Kritik von allen Seiten
Heute scheint der Tag der BVG-Reform-Kritik zu sein. Während Fabian Schäfer in der NZZ unter dem Titel «In der Rentenfalle – die zerstrittene Wirtschaft und die Bürgerlichen hadern mit der Pensionskassenreform» die Uneinigkeit der Bürgerlichen analysiert und Peter Wirth vom Vorsorgeforum der Reform schlechte Chancen gibt (dazu mehr weiter unten), verbreitet die SP Schweiz wieder Falschinformationen oder irreführende Propaganda zur Reform.
Konkret steht in einem SP-Newsletter von heute morgen (zwischen den Anführungszeichen):
[Voranmerkung: Korrekt ist, dass die Renten durch die Reform nicht sinken werden (wie hier erklärt). Die Renten von Frauen sind gleich hoch und teils sogar höher als die von Männern, wenn man gleiches mit gleichem vergleicht (wird hier erklärt). Der Vorschlag des Bundesrats müsste von den Jungen finanziert werden (wird hier erklärt) und würde damit die Finanzierung von deren Renten gefährden.]
«BVG-Reform: Sinkflug der Renten stoppen!
Die Renten in der zweiten Säule sind seit zehn Jahren im Sinkflug. Die Reform hatte drei Ziele: Renten sichern, Finanzierung garantieren und die Renten von tiefen Einkommen verbessern. Der bundesrätliche Vorschlag und Sozialpartnerkompromiss hat diesen Zielen Rechnung getragen»
[Faktencheck: Nein, denn er würde die Umverteilung massiv erhöhen und damit die Finanzierung der Renten der Jungen gefährden.]
(...) «Die Renten der Frauen dürfen nicht länger ein Drittel tiefer sein als die der Männer»
[Faktencheck: Doch, das dürfen sie in der zweiten Säule, denn die Renten hängen hier einzig und allein vom persönlichen Erwerbseinkommen während der Lebensarbeitszeit ab. Wer ein paar Jahre nicht oder Teilzeit arbeitet bekommt entsprechend weniger Rente und das ist richtig so, denn die spätere Rente aus der Pensionskasse wird durch das persönliche Alterssparkapital finanziert. Wer im Laufe seines Lebens weniger verdient hat, könnte nur dann gleich viel Rente erhalten, wenn das fehlende Kapital jemand anderem von der Rente weggenommen wird. Dabei behauptet doch die politische Linke immer, sich gegen Rentenklau zu wehren. Vergleicht man ledige Frauen mit ledigen Männern und einer gleich langen Arbeitszeit, so sind die Renten der Frauen sogar höher, laut Bundesamt für Statistik. Dieses Narrativ ist also manipulativ.]
(...) «Aktuell fliessen wegen Vermögensverwaltungskosten jährlich Milliarden von den Versicherten weg»
[Faktencheck: Das kann man so sehen, aber man muss auch bedenken, dass Pensionskassen, die zu einem Lebensversicherer gehören, eine Vollversicherung bieten und das, was "abfliesst" quasi die Versicherungsprämie ist. Man kann nicht beides haben, eine Versicherung und keine Prämien. Bei den autonomen Pensionskassen gibt es diese Versicherung nicht, hier müssen sich Versicherte an Sanierungsmassnahmen beteiligen, wenn die PK in Unterdeckung gerät. Wird die Legal Quote gesenkt, ist davon auszugehen, dass sich nach den bisherigen auch noch die letzten Anbieter einer Vollversicherung verabschieden, was für die KMU, denen diese Versicherung wichtig ist, ziemlich schlimm wäre.]
(...) «Die angepeilte Senkung des Umwandlungssatzes führt zu einer Rentenkürzung von 12 Prozent.»
[Faktencheck: Das ist krass gelogen, denn erstens ist es eine Leitplanke der Reform, dass Ausgleichsmassnahmen eine Rentensenkung verhindern werden und zweitens haben ca. 86% der Versicherten (die in umhüllenden Kassen) sowieso schon Umwandlungssätze von 5-6%, weil diese eine Mischrechnung aus dem Umwandlungssatz im Überobligatorium und dem obligatorischen Kapital (BVG-Mindest-Umwandlungssatz) machen können und so im Durchschnitt auf einen realistischeren Wert kommen. Die Reform hat zum Ziel, den BVG-Mindest-Umwandlungssatz zu senken. Wenn das nicht mehr sein darf, braucht es auch keine Reform.]
Peter Wirth wiederum analysiert im Vorsorgeforum den Artikel «In der Rentenfalle – die zerstrittene Wirtschaft und die Bürgerlichen hadern mit der Pensionskassenreform» (Link):
Es steht nicht gut um die BVG-Revision. Die Linke beharrt eisern auf dem sog. Sozialpartnerkompromiss mit starker Umverteilungskomponente, was das Gewerbe (auch Sozialpartner) aus Kostengründen nicht akzeptiert. Die bürgerlichen Parteien lavieren, sind sich fundamental uneinig und wissen nicht wirklich, was sie wollen.
Fabian Schäfer berichtet in der NZZ über ein “klandestines Treffen” aller Beteiligten auf bürgerlicher Seite, allerdings ohne Gewerbe und Bauern, was aber anscheinend kein zählbares Resultat erbrachte. Was wohl nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass der Arbeitgeberverband sich aus der selbstgestellten Falle mit dem Kompromiss nicht zu befreien vermag. Auch nach den Ständeratsbeschlüssen konnte er sich nicht zu einer öffentlichen Beurteilung der Situation durchringen, obwohl solches erwartet worden war.
Die Linke beruft sich auf ein angebliches Versprechen, die 2. Säule für Frauen massiv aufzubessern. Allerdings ist unklar, wer, wann und mit welchem Auftrag und welcher Bindung ein solches Versprechen abgegeben hat. Das gehört wohl zur aktuellen Nebelpetarden-Politik. Aber dieses Versprechen wird ad nauseam vorgebracht, als wäre damit die Reform bereits beschlossene Sache.
Das Schlamassel um die Reform ist mittlerweile so gross, dass sich die Stimmen mehren, die unter dem Schlagwort “lieber keine Reform als diese” nach einem Uebungsabbruch rufen, Das wäre am einfachsten mit einem Scheitern im Parlament zu erreichen, dann könnte man sich zumindest einen aufwändigen und letztlich sinnlosen Urnengang ersparen.
Insgesamt eine mehr als üble Situation. Ein Politikversagen, ausgelöst ausgerechnet durch den Arbeitgeberverband, das sich aber nahtlos einfügt in vergleichbare Fehlleistungen in Energie-, Europa- und Gesundheitspolitik.
Das sind harte Worte, aber in der Tat ist es schwierig, einen Kompromiss zu finden, wenn die Parteien derart unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Ziel der Reform ist eine möglichst kostengünstige Lösung für die 14 Prozent der Versicherten, die nur nahe am BVG-Minimum versichert sind und bei denen der Umwandlungssatz für die gestiegene Lebenserwartung zu hoch ist. Zudem soll eine Verbesserung für Tieflohnempfänger ermöglicht werden. Dies entspricht den Zielen der Bürgerlichen und dem Vorschlag des Nationalrats. Die Linke hingegen will eine allgemeine Rentenerhöhung. Es ist offensichtlich, dass sich diese Ziele dermassen widersprechen, dass eine Einigung nur mit einer erheblichen Kompromissbereitschaft möglich sein kann. Die grosse Frage lautet deshalb wieder einmal: Was ist aus einer der grössten Stärken der Schweiz geworden, der Fähigkeit zu einem gutschweizerischen Kompromiss, mit dem niemand so richtig zufrieden ist, aber mit dem alle doch noch leben können?
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