28. September 2022 11:18
NZZ über die «Verlogenheit bei der Altersvorsorge»
Hansueli Schöchli thematisiert in der NZZ in einem Kommentar die «Verlogenheit bei der Altersvorsorge» im Zusammenhang mit deren Reformen. Wie schon der ASIP mit den leider notwendig gewordenen Faktenchecks kritisiert er gewisse Akteure, die auf Kosten der Wahrheit oder wenigstens einer ausgewogenen Betrachtung Stimmung machen, um ihre Anliegen durchzubringen, selbst dann, wenn diese nicht unbedingt (nur) zum Vorteil derer sind, für die sie angeblich einstehen.
"Das System der Altersvorsorge ist für Laien kaum durchschaubar. Die Umverteilungskanäle sind gross, aber so gut versteckt, dass die Irreführungen des Publikums durch Lobbyisten ungestraft bleiben. Die zwei grössten Umverteilungskanäle – von Jung zu Alt und von Reich zu Arm – wirken in der Regel parallel: Wer den einen Kanal vergrössern will, vergrössert auch den anderen. Alle Volksparteien haben ein starkes politisches Interesse, nach dem Motto «nach uns die Sintflut» Lasten auf die Jüngeren zu verschieben: Etwa 60 Prozent der Urnengänger sind über 50 Jahre alt, und die Jungen interessieren sich noch zu wenig für die Altersvorsorge, um zu verstehen, dass sie für dumm verkauft werden. Die Linke hat zudem ein starkes Interesse an Umverteilungen von oben nach unten. Weil der ehrliche Weg via Steuerprogression und offene Direktzahlungen politisch schwieriger ist, soll es die Verschleierung via Altersvorsorge unter falschen Etiketten wie «faire Renten» oder «Frauenförderung» richten. Die AHV ist ein Pyramidensystem. Die heutigen Erwerbstätigen und Steuerzahler finanzieren die heutigen Rentner. Die Umverteilung ist hier besonders stark und besonders intransparent – deshalb wird die Linke immer nach einem Ausbau rufen."
"In der beruflichen Vorsorge gilt ein anderes Prinzip ... Besonders offensiv ist der von Sozialminister Berset gelobte Vorschlag des Bundesrats. Er will pauschale Rentenzuschläge für alle Neurentner bis in alle Zeiten, finanziert nach dem AHV-Prinzip mit Lohnbeiträgen der Erwerbstätigen. Zuschläge bekämen auch jene Neurentner, die keine Einbusse hätten. Die versteckte Umverteilung von Jüngeren zu Älteren, die Berset einst als «Skandal» bezeichnet hatte, würde noch zunehmen.
Der Bund schätzte die Mehrkosten nur schon für die ersten fünfzehn Übergangsjahrgänge auf rund 30 Milliarden Franken. Mit der Frauenfrage hat dies direkt nichts zu tun; doch das Frauenthema wird auch hier missbraucht. Es geht wie meistens in der Altersvorsorge «nur» um Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten. In der Klimapolitik entspräche der Vorschlag des Bundesrats einer Reform, die zunächst den CO2-Ausstoss deutlich senkt, aber den Betroffenen so viele «Kompensationen» gibt, dass der Ausstoss per saldo sogar noch wächst.
Der Nationalrat beschloss 2021 eine schlankere Version; diese enthält ebenfalls noch Überkompensationen und neue Umverteilungen, doch die Mehrkosten für die Rentenzuschläge sind deutlich tiefer als beim Bundesrat. Für die Linke ist dies aber viel zu wenig: Sie benutzt die Diskussion über den Umwandlungssatz als Mittel zum Herauspressen neuer Quersubventionierungen. Was der Ständerat beschliessen wird, ist derzeit noch offen. ... Jeder Vorschlag, der bei den Rentenzuschlägen über die Nationalratsvariante hinausgeht, dürfte den ursprünglichen Reformzweck verfehlen."
Schöchli greift in seinem Kommentar auch einen weiteren Aspekt auf:
"Will man das Zwangssparen auf tiefere Einkommen ausdehnen? Das kann man wollen. Laut Befürwortern würden vor allem Frauen profitieren, die oft in Teilzeit erwerbstätig sind und deshalb tiefere Gesamteinkommen haben. Doch auch hier ist viel Etikettenschwindel im Spiel. Betroffene Tiefverdiener hätten mit dem diskutierten Ausbau später höhere Renten, dafür müssten sie zuvor höhere Beiträge zahlen. Auch die Arbeitgeberbeiträge belasten letztlich zu einem grossen Teil die Arbeitnehmer – in Form von geringeren Lohnerhöhungen und weniger Arbeitsplätzen."
Der Kommentar zeigt: bei der Reform der zweiten Säule geht es um das Neu-Justieren eines komplexen Systems, bei dem nicht einfach an einer Schraube drehen kann, ohne die Auswirkungen auf alle anderen und deren Folgewirkungen zu beachten. Wer mit einfachen "Lösungsvorschlägen" suggeriert, er habe die perfekte Lösung gefunden, erweist gerade den nur minimal Versicherten, die die Reform besonders nötig hätten, einen Bärendienst.
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