Mindestzins , Performance , Sicherheit , Umwandlungssatz
18. Mai 2022 09:40
Ausreichend Reserven sichern die Verzinsung
Hansueli Schöchli widmet sich in einem Kommentar in der heutigen Neuen Zürcher Zeitung der ewigen Mähr von den Pensionskassen, die angeblich zu viel Geld horten:
"Hier ist die gute Nachricht: Die Schweizer Pensionskassen ohne Staatsgarantie hatten Ende 2021 so hohe Reserven wie wohl nicht mehr seit 1999. Laut den am Dienstag präsentierten Daten der Oberaufsicht der beruflichen Vorsorge betrug das Reservepolster im Mittel über 18 Prozent der künftigen Verpflichtungen. Das entspricht über 150 Milliarden Franken an Gesamtreserven. Doch hier ist die schlechte Nachricht: In den ersten vier Monaten von 2022 ist das Reservepolster laut Schätzung der Oberaufsicht wegen Börsentauchern um fast die Hälfte geschrumpft. Und nach dem Spitzenwert von 1999 fielen die Branchenreserven aufgrund einer grossen Börsenbaisse bis 2002 auf unter null. Es gibt also keinen Grund zum Übermut. Der Refrain von Anhängern der politischen Reformblockade in der Altersvorsorge nach dem Motto «Die Pensionskassen habe dicke Polster, also gibt es keinen Grund zur Senkung von Rentengarantien» ist heute so falsch wie während der letzten zehn Jahre. Die Pensionskassen brauchen substanzielle Reserven, damit sie nicht schon nach dem ersten Börsentaucher in einen Sanierungszwang mit zusätzlichen Lohnabzügen hineinlaufen."
Und: "Ein eisernes Gesetz der Finanzmärkte lernen KV-Lehrlinge schon im ersten Lehrjahr, doch zu viele erwachsene Politiker in Bundesbern wollen davon nichts wissen: keine Gewinnchancen ohne Risiken. Ohne Reserven müssten sich die Pensionskassen stärker auf risikoarme Anlagen beschränken, was langfristig Renditeeinbussen brächte. Damit verwandt ist der Befund, dass Rentengarantien teuer sind, weil Garantien nur mit «risikolosen» und damit praktisch ertragslosen Anlagen «sicher» erfüllbar sind. Das erklärt die Mechanik nach dem Muster einer Wippe mit ihren zwei gegensätzlichen Enden: Je höher die Garantien für die Rentner sind, desto tiefer sind die Kapitalverzinsungen für die Erwerbstätigen. Dass jene, die am lautesten nach möglichst hohen Rentengarantien rufen, gleichzeitig auch am lautesten die oft tiefe Kapitalverzinsung für die Erwerbstätigen kritisieren, gehört zur üblichen Heuchelei im Theater der Bundespolitik."
Er weist darauf hin, dass viele Experten für Durchschnittskassen eine Grössenordnung von etwa 15 Prozent der Rentenverpflichtungen als angemessen erachten. Das von den Kassen selbst angepeilte Polster von durchschnittlich knapp 18 Prozent erscheine deshalb "nicht obszön. Das gesunde Branchenpolster per Ende 2021 stellte sicher, dass auch nach dem Börsentaucher der ersten vier Monate 2022 der Druck auf den Panikknopf nicht angebracht ist."
Ungeachtet der hohen Renditen 2021 und der Umverteilung, die praktisch nur noch jene 14 Prozent der Versicherten betrifft, die nahe am BVG-Minimum versichert sind, bleibt der Reformbedarf in der zweiten Säule bestehen. Denn dieser Reformbedarf ging noch nie von den 86 Prozent in umhüllenden Pensionskassen Versicherten aus und für die 14 Prozent minimal Versicherten hat sich auf mit dem guten Börsenjahr 2021 nicht viel verändert.
Und zwar nicht nur, weil die Kursverluste der Kassen laut dem Pensionskassenindex der UBS bis Ende April im Mittel rund 5 Prozent betragen dürften. "Selbst das Bundesamt für Sozialversicherungen, das nicht im Verdacht steht, bürgerlich unterwandert zu sein, bezeichnete 6 Prozent in Berichten vom März 2022 an die zuständige Ständeratskommission als zu hoch."
"Unter dem Strich erklären somit vor allem vier Faktoren die gute Finanzlage der Pensionskassen. Erstens: Das rechnerisch weit überhöhte Gesetzesminimum für die Rentengarantie betrifft direkt nur relativ wenige Versicherte. Zweitens: Beim grossen Rest ist die Praxis schon lange näher an die Realität gerückt. Drittens: Die Erwerbstätigen wurden durch rechnerisch zu geringe Verzinsungen und zu hohe Risikoprämien lange übermässig belastet. Und viertens: Das langjährige Zinsdoping der Notenbanken hat einen Boom an den Finanzmärkten bewirkt – bis vor kurzem."
Der Reformbedarf bleibt. Für jene 14 Prozent, die nur mit dem BVG-Minimum versichert sind.
Weitere Informationen in der heutigen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung.
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