30. Juni 2021 18:35
«Groteske Debatte zur Altersvorsorge»
Hansueli Schöchli schreibt gestern in der NZZ unter anderem "der Einfluss einzelner grosser Lebensversicherungen" habe zu einer grotesken Situation bei der BVG21 geführt, nämlich dass die Umverteilung, die reduziert werden soll, zulasten der Jüngeren sogar noch ausgebaut wird. Es liegt nun am Parlament, das zu ändern. Doch hat es den Mut, den grossen Lebensversicherungen zu widersprechen?
"Die Dauer der Rentenleistungen nimmt zwar wegen steigender Lebenserwartung laufend zu, aber eine Senkung der Jahresrente um einige Prozent gilt schon als inakzeptabler «Sozialabbau», der durch Zulagen «kompensiert» werden muss – zulasten der Jüngeren.
Dies illustrierte auch der Bundesratsvorschlag von 2020 zur Reform der beruflichen Vorsorge: Das Minimum der Jahresrente im Obligatorium soll zwecks Anpassung an geänderte Lebens- und Renditeerwartungen zwar sinken, doch pauschale Rentenzuschläge sollen Einbussen weitgehend wettmachen bis überkompensieren. Die Reform würde laut einer vom Bund bestellten Studie die Umverteilung von Jüngeren zu Älteren um etwa 20 Milliarden Franken steigern.
Bürgerliche Politiker hatten zwar eine Allianz des Widerstands angekündigt, doch diese Allianz ist schon am Wackeln. Die Sozialkommission des Nationalrats sprach sich am vergangenen Freitag mit knapper Mehrheit für das Rentenmodell des Bundesrats aus – und damit gegen das günstigere Alternativmodell, das der Pensionskassenverband und diverse Branchenverbände vorgeschlagen hatten. Nebst dem Links-Block trugen auch Stimmen von den Grünliberalen und der FDP sowie Enthaltungen aus der Mitte-Fraktion zur Ja-Mehrheit bei. Der Beschluss ist erst provisorisch, und viele Umsetzungsfragen sind noch offen, doch die Sache gibt dennoch zu denken.
Das Ja der Linken ist verständlich: Der Bundesratsvorschlag erhöht die versteckte Umverteilung in der Altersvorsorge von oben nach unten (was die Linke besonders mag) und von Jüngeren zu Älteren (was die meisten Politiker mögen). Die Bürgerlichen sagen zwar, dass sie keine systemfremde Umverteilung in der beruflichen Vorsorge wollten, doch einige Exponenten haben offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen. Eine Rolle spielten die Furcht vor einem Scheitern einer weniger luxuriösen Vorlage an der Urne, der Einfluss einzelner grosser Lebensversicherungen (die nach erfolgter Reform hohe Rückstellungen auflösen könnten) und Zweifel am diskutierten Alternativmodell.
In diesem Alternativmodell, das zur Debatte stand, wären Rentenzuschläge auf jene 10 bis 30 Prozent der Versicherten beschränkt, deren Jahresrente als Folge der Reform sonst sänke. Zudem gäbe es in diesem Modell keine neue Quersubventionierung zwischen Betrieben und Branchen; stattdessen würde jede Pensionskasse Rentenzuschläge mit eigenen Rückstellungen finanzieren, die sie aufgrund von Vorgaben der Aufsicht halten muss. Laut Kritikern ist nicht belegt, dass die Rückstellungen genügen. Der Pensionskassenverband verweist dagegen auf Umfragen, die Rückstellungen von total knapp 17 Milliarden Franken zeigten.
Nicht jede Kasse hat sicher genug Rückstellungen. Der Pensionskassenverband spricht von «wenigen Ausnahmen». Wer wegen einer wohl kleinen Minderheit eine generelle neue Quersubventionierung zwischen Branchen und Betrieben einführen will, schiesst mit Kanonen auf Spatzen. Viel logischer und fairer erscheint es, wenn Kassen, die ihre Hausaufgaben versäumt haben, allfällige Rentenzuschläge direkt mit Zusatzbeiträgen finanzieren müssen. Und wer dies nicht will, sondern eine neue Quersubventionierung vorzieht, muss deswegen noch lange nicht das ganze Bundesratsmodell mit dem teuren Zuschlag für alle Rentner kaufen."
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