3. Juni 2021 16:21
«Vollversicherung in der Sackgasse»
"Wer zu viele Rentner mitbringt, ist unerwünscht: Die Vollversicherung steckt in der Sackgasse" titelt die NZZ heute einen Bericht über die Schwierigkeiten, die sich aus der Reformblockade bei der zweiten Säule ergeben.
Immer mehr kleine Firmen müssten in der zweiten Säule viel höhere Risiken tragen, als sie eigentlich wollen. Auch weil politische Reformen seit Jahren blockiert sind, fänden sie keinen Versicherer mehr, der ihnen die Risiken zu einem vertretbaren Preis abnehmen will. Nur noch fünf Anbieter führten in der beruflichen Vorsorge in der Schweiz die sogenannte Vollversicherung: Swiss Life, Helvetia, Bâloise, Allianz Suisse und Pax. Dabei handelt es sich um eine Art «Rundumsorglos-Paket», das vor allem KMU gerne nutzen. Hier übernimmt der Versicherer nämlich nicht nur die Vorsorgerisiken wie Tod oder Invalidität, sondern auch die Anlagerisiken.
Die Vollversicherung sei einerseits Opfer der ultraniedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten, aber auch der politischen Blockade in der zweiten Säule: Seit 2004 scheiterten alle Reformen entweder am Stimmvolk oder bereits zuvor. Der starre BVG-Mindestumwandlungssatz von 6,8% hat es den Versicherern über die Jahre hinweg immer schwerer gemacht, die Vollversicherung mit ihren Garantien anzubieten. Über Mischrechnungen und versteckte Quersubventionierung zwischen den Versicherten können sie die überrissene Vorgabe zwar abfedern. Dennoch lohne sich das Geschäft für sie immer seltener. Sie schauten deshalb genau darauf, dass Firmen, die sich gerne anschliessen möchten, keine unvorteilhafte Altersstruktur im Versichertenbestand haben.
KMU wie Coiffeursalons oder Metzgereien würden so dazu gezwungen, bei der beruflichen Vorsorge mehr Risiken einzugehen, als sie eigentlich möchten.
Bei der Präsentation der BVG-Betriebsrechnungen riefen die Versicherer einmal mehr nach politischen Reformen in der beruflichen Vorsorge. Ob und unter welchen Bedingungen dies gelingen wird, ist noch unklar: Der Bundesrat hat seinen Vorschlag vor einem halben Jahr präsentiert, jetzt werden im Parlament die Mehrheiten gesucht. Noch liegen zwei konkurrierende Vorschläge auf dem Tisch: einer der Sozialpartner, dem sich der Bundesrat angeschlossen hat. Ein zweiter stammt vom Pensionskassenverband ASIP. Im Unterschied zum Vorschlag der Sozialpartner, der die stossende Umverteilung sogar noch ausbauen würde, kommt der Vorschlag des ASIP ohne einen neuen Rentenzuschlag aus, weil er die garantiert vorhandenen Rückstellungen für den Ausgleich möglicher Rentenverluste in der Übergangsgeneration einsetzen will.
Nur mit einer Anpassung der Rahmenbedingungen wie des BVG-Mindestumwandlungssatzes und des BVG-Mindestzinssatzes könne die Systemkrise in der zweiten Säule überwunden werden, sagte Anja Göing-Jaeschke, Leiterin Aktuariat Leben Schweiz bei Helvetia. Das anhaltend hohe Niveau der Umverteilung in der zweiten Säule zeige, dass eine Reform der beruflichen Vorsorge nach wie vor zwingend und dringend sei.
Diesen Eintrag kommentieren