15. Februar 2021 12:30
"BVG-Reform als Belastungsprobe für das Dreisäulensystem"
Vor drei Tagen publizierte Fabrizio Petrillo, CEO von AXA Schweiz, einen hervorragenden Kommentar zur Situation der Reform der zweiten Säule, den wir hier mit seiner Genehmigung gerne wiedergeben.
Die Trennung zwischen Solidarität in der ersten, Sozialpartnerschaft in der zweiten und Eigenverantwortung in der dritten Säule macht unser Modell so einzigartig. Die Elemente sollten nicht vermischt werden.
Indem sie die AHV um eine obligatorische berufliche Vorsorge und die eigenverantwortliche dritte Säule erweiterten, gelang den Schöpfern des Dreisäulenmodells um den SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi ein wahres Kunststück. Die feine Balance der drei Säulen widerspiegelt den im Volk verankerten Willen, Solidarität, Sozialpartnerschaft und Eigenverantwortung in Einklang zu bringen. Für das Exportland Schweiz mit seinen hohen Leistungsüberschüssen war die Ergänzung des Umlageverfahrens der AHV durch eine persönliche Kapitalakkumulation zudem unumgänglich. Nur so liess sich die Abhängigkeit von der Demografie- und Lohnentwicklung reduzieren.
Problematischer Ausgleichs-«Topf»
Das Herzstück des Systems ist die zweite Säule: Arbeitnehmer und Arbeitgeber übernehmen gemeinsam Verantwortung für die betriebliche Altersvorsorge und gewährleisten partnerschaftlich die Sicherung der Renten. Es überrascht deshalb nicht, dass viele der paritätisch besetzten Stiftungsräte den durch die steigende Lebenserwartung und die tiefen Zinsen verursachten Handlungsbedarf früh erkannten und die Parameter im Überobligatorium rechtzeitig justierten.
Jetzt ist die Politik am Zug, die Grundlagen des obligatorischen BVG-Teils ebenfalls der Wirklichkeit anzupassen. Denn der Umwandlungssatz im Obligatorium hindert Vorsorgeeinrichtungen, die vorwiegend tiefe Einkommen versichern («BVG-nahe Kassen»), die Umverteilung von Jung zu Alt zu reduzieren und so ihre finanzielle Lage ebenfalls zu stabilisieren.
Der Bundesrat hat dazu ein auf dem Sozialpartner-Kompromiss basierendes Reformprojekt präsentiert: Eine Umwandlungssatzsenkung von 6,8 auf 6 Prozent soll durch höhere Sparbeiträge kompensiert werden. Um das Rentenniveau auch in der Übergangsgeneration zu halten, ist eine Art «Mini-AHV» vorgesehen, indem alle Versicherten 0,5 Prozent ihres Lohns an einen Ausgleichs-«Topf» beisteuern.
Was sich als pragmatisches Geben und Nehmen präsentiert, weist in Tat und Wahrheit erhebliche Nachteile auf: Erstens haben die meisten, die in den Genuss dieser Lösung kämen, gar keinen Bedarf dafür. Einer «BVG-nahen Kasse» gehören nämlich lediglich rund 14 Prozent aller Versicherten an. Die Umwandlungssatzsenkung würde für die grosse Mehrheit also zu gar keiner Rentenreduktion führen. Zweitens verfügen die meisten Kassen heute schon über die nötigen Reserven, um die Lücken der Übergangsgeneration aus eigener Kraft zu decken. Drittens verstärken die 0,5 Prozent die Umverteilung von Jung zu Alt erheblich – statt sie endlich zu reduzieren. Viertens unterhöhlt eine zentral gesteuerte «Mini-AHV» die dezentrale Verantwortung der Stiftungsräte und setzt dadurch falsche Anreize.
Risse in den Pfeilern
Vor allem dies wiegt schwer: Die ursprüngliche Trennung zwischen Solidarität in der ersten, Sozialpartnerschaft in der zweiten und Eigenverantwortung in der dritten Säule macht unser Modell so einzigartig. Schwächen wir es nicht, indem wir die Elemente vermischen. Zumal die «Mini-AHV» der richtigen AHV dringend nötige Zusatzressourcen entziehen und damit neben der Sozialpartnerschaft in der zweiten auch die Solidarität in der ersten Säule torpedieren würde. Die Risse, die dadurch in den tragenden Pfeilern unserer Altersvorsorge entstünden, könnten das Dreisäulenmodell endgültig ins Wanken bringen.
Dass die Reform einer Korrektur bedarf, haben viele politische Akteure längst erkannt. Alternativvorschläge, welche die Ziele der Sozialpartner ebenfalls erreichen, liegen auf dem Tisch. So zielt der auf dem Vorschlag des Schweizerischen Pensionskassenverbands Asip basierende «Mittelweg» auf die Beseitigung der Fehlkonstruktion «Mini-AHV», ohne am Erhalt des Rentenniveaus zu rütteln. Nun ist es am Parlament, unser ausgeklügeltes und austariertes Dreisäulenmodell mit der sozialpartnerschaftlichen zweiten Säule als Herzstück wieder ins Lot zu bringen.
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M.V. • 3 Jahre, 9 Monate her