Reformen , Umwandlungssatz , ASIP Faktenchecks

25. August 2021 13:13

Fak­ten­check: Der wah­re Ren­ten­klau

 

65 Pro­zent emp­fin­den ei­ne Sen­kung des Um­wand­lungs­sat­zes als Ren­ten­klau

Laut ei­ner Um­fra­ge der Ver­si­che­rung Grou­pe Mu­tu­el in Zu­sam­men­ar­beit mit der Zei­tung «Le Temps» emp­fin­den 65 Pro­zent der Be­frag­ten  die ge­plan­te Sen­kung des Um­wand­lungs­sat­zes als Ren­ten­klau. In der West­schweiz se­hen das 73 Pro­zent so, in der Deutsch­schweiz 61 Pro­zent. Die­se Sicht­wei­se ist falsch. 

Der wah­re Ren­ten­klau ist der heu­ti­ge, zu ho­he Um­wand­lungs­satz

Mit dem Um­wand­lungs­satz ist in die­sem Zu­sam­men­hang im­mer der BVG-Min­de­stum­wand­lungs­satz ge­meint. Die­ser ist aber nur für 14% der Ver­si­cher­ten re­le­vant. Bei ih­nen han­delt es sich um die­je­ni­gen, de­ren Löh­ne nur mit dem BVG-Mi­ni­mum ver­si­chert ist. Ge­hen sie in Pen­si­on, wird die jähr­li­che Ren­te durch den BVG-Min­dest-Um­wand­lungs­satz ber­rech­net. Bei ei­nem an­ge­spar­ten Al­ters­ka­pi­tal von 100'000 Fr. und ei­nem BVG-Min­dest-Um­wand­lungs­satz von 6.8% wer­den jähr­lich 6'800 Fr. aus­ge­zahlt. Die­sem Pro­zent­satz liegt die An­nah­me zu­grun­de, dass die Le­bens­er­war­tung bei Ren­ten­an­tritt grob ca. 15 Jah­re be­trägt und das Er­spar­te so lan­ge rei­chen muss. (In Wirk­lich­keit ist es et­was kom­pli­zier­ter, weil das Ka­pi­tal noch Zin­sen ab­wirft, aber um das Prin­zip zu ver­ste­hen kön­nen wir dies hier kurz igno­rie­ren.) 

Die Pen­si­ons­kas­sen die­ser 14% Ver­si­cher­ten, die am BVG-Mi­ni­mum ver­si­chert sind, müs­sen al­so mit ei­nem Um­wand­lungs­satz von 6.8% rech­nen. Die Pen­si­ons­kas­sen der 86% Ver­si­cher­ten, die mit mehr als dem Mi­ni­mum, über­ob­li­ga­to­risch ver­si­chert sind, kön­nen einen tie­fe­ren Um­wand­lungs­satz an­wen­den, weil sie beim über­ob­li­ga­to­ri­schen An­teil nicht an die 6.8% ge­bun­den sind und so­mit einen im Durch­schnitt tie­fe­ren Um­wand­lungs­satz be­rech­nen kön­nen. Letz­te­re kön­nen so­mit das Er­spar­te auf die tat­säch­lich zu er­war­te­ne­de Ren­ten­dau­er auf­tei­len. Für sie braucht es kei­ne Re­form des Sys­tems und auch nicht un­be­dingt ei­ne Sen­kung des BVG-Min­dest-Umw­nad­lungs­sat­zes.

Die Ren­ten­dau­er bzw. Le­bens­er­war­tung bei Ren­ten­an­tritt ist mitt­ler­wei­le ca. ein Drit­tel hö­her, als 1984 zu Be­ginn des BVG. Mit ei­nem Um­wand­lungs­satz von 6.8% reicht das an­ge­spar­te Ka­pi­tal des­halb nicht mehr bis zum Le­bens­en­de.

Da­mit die Pen­si­ons­kas­sen trotz­dem wei­ter­hin die ver­spro­che­ne Ren­te aus­zah­len kön­nen, sind die Pen­si­ons­kas­sen der 14% am BVG-Mi­ni­mum Ver­si­cher­ten des­halb ge­zwun­gen, den­je­ni­gen Ver­si­cher­ten Geld weg­zu­neh­men, die noch ar­bei­ten und Bei­trä­ge zah­len. Sie tun dies, in­dem sie einen Teil der jähr­li­chen Ren­di­te («Zins») auf dem Ka­pi­tal der Bei­trags­zah­ler da­für ver­wen­den, die Ren­ten­lücken der Pen­sio­nier­ten zu stop­fen. Man spricht in die­sem Zu­sam­men­hang auch von Pen­sio­nie­rungs­ver­lus­ten, die ge­deckt wer­den müs­sen.

Ge­nau­er be­trach­tet geht das Geld zu­erst in Rück­stel­lun­gen und wird dann von dort als Ren­te aus­ge­zahlt, denn um auch in schlech­ten Jah­ren ih­ren Ver­pflich­tun­gen nach­kom­men zu kön­nen, müs­sen die­se Pen­si­ons­kas­sen für meh­re­re Jah­re im vor­aus si­cher­stel­len, dass die Pen­sio­nie­rungs­ver­lus­te ge­deckt sind. (Bei ei­ner Sen­kung des BVG-Min­dest-Um­wand­lungs­sat­zes kön­nen aus die­sen Rück­stel­lun­gen Aus­gleichs­mass­nah­men fi­nan­ziert wer­den, die si­cher­stel­len, dass die Ren­ten­zah­lun­gen trotz Sen­kung des Um­wand­lungs­sat­zes gleich hoch blei­ben.)

Ei­gent­lich ist die zwei­te Säu­le da­für ge­dacht, dass je­der für sich Al­ters­ka­pi­tal an­spa­ren kann, in­dem er bzw. sie wäh­rend des Ar­beits­le­bens Geld ein­zahlt und die Pen­si­ons­kas­se die­ses Geld ge­winn­brin­gend an­legt und ver­mehrt. Zur Ab­si­che­rung des In­vi­du­ums ge­gen schlech­te Zei­ten und Ver­lus­te zah­len al­le Bei­trags­zah­ler ge­mein­sam in Re­ser­ven ein. Trotz in­di­vi­du­el­lem Spa­ren herrscht al­so ei­ne ge­wis­se So­li­da­ri­tät.

Das Aus­mass, in dem heut­zu­ta­ge we­gen des für die heu­ti­ge Le­bens­er­war­tung zu ho­hen Um­wand­lungs­sat­zes Ren­di­ten der Bei­trags­zah­ler für die Quer­sub­ven­tio­nie­rung lau­fen­der Ren­ten ab­ge­zweigt wer­den müs­sen, über­steigt je­doch bei wei­tem die Gren­ze des Zu­mut­ba­ren.

Denn vor al­lem den jün­ge­ren Ge­ne­ra­tio­nen wird da­mit nicht nur et­was Geld ab­ge­zweigt. We­gen des Zin­ses­zin­ses wür­de sich die­ses Geld über Jahr­zehn­te deut­lich ver­meh­ren. Den Jun­gen ent­geht al­so ein zig­fa­ches des ab­ge­zweig­ten Be­trags, und die­ses Geld wird ih­nen, die wahr­schein­lich ei­ne noch hö­he­re Le­bens­er­war­tung ha­ben wer­den, spä­ter beim Ren­ten­an­tritt «dop­pelt und drei­fach» feh­len. Das Sys­tem ge­rät so lang­sam aus dem Lot und ent­fernt sich im­mer mehr vom ur­sprüng­li­chen Ziel. Es braucht ei­ne Re­form. 

Es ist nicht ver­kehrt, in die­sem Zu­sam­men­hang vom wah­ren Ren­ten­klau an den Jun­gen zu spre­chen, den der zu ho­he Um­wand­lungs­satz ver­ur­sacht. 

Je­doch muss da­bei un­be­dingt dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass nicht die Pen­sio­nier­ten da­für ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den kön­nen. Sie kön­nen nichts für die nicht mehr zeit­ge­mä­ss ein­ge­stell­ten Stell­schrau­ben des Sys­tems.

Ver­ant­wort­lich sind all je­ne po­li­ti­schen Kräf­te, die seit Jahr­zehn­ten ei­ne An­pas­sung der Stell­schrau­ben ver­hin­dern, in­dem sie die Öf­fent­lich­keit mit dem Be­griff des Ren­ten­klaus täu­schen und sich er­folg­reich ge­gen ei­ne Sen­kung des Um­wand­lungs­sat­zes weh­ren. 

Wohl­ge­merkt, denn man kann es nicht oft ge­nug wie­der­ho­len: das Pro­blem wür­de nur 14% der Ver­si­cher­ten be­tref­fen und auch das nur, wenn es kei­ne Aus­gleich­mass­nah­men gä­be.

Bei die­sen han­delt es sich ins­be­sond­ere um Tief­lohn­emp­fän­ger, bei de­nen der heu­ti­ge Ren­ten­klau be­son­ders schlim­me Fol­gen hat. Es bleibt zu hof­fen, dass sich die Ge­werk­schaf­ten die­ses Pro­blems an­neh­men und ge­mein­sam mit al­len in­vol­vier­ten Ver­bän­den ei­ne Lö­sung aus­ar­bei­ten, die den wah­ren Ren­ten­klau be­en­det und die Ren­ten der Tief­lohn­emp­fän­ger auf ei­ne neue, so­li­de Ba­sis stellt.

Der «Mit­tel­weg» ge­nann­te Vor­schlag von über 40 Ver­bän­den wä­re ein da­für ge­eig­ne­ter Kom­pro­miss, denn er be­las­tet Tief­lohn­emp­fän­ger nicht mit neu­en Lohn­ab­ga­ben und ver­bes­sert trotz­dem de­ren Ab­si­che­rung mit ei­ner zwei­ten Säu­le, bei ins­ge­samt nied­ri­ge­ren Kos­ten.  

Das fol­gen­de Vi­deo er­klärt die wei­ter oben er­wähn­ten Stell­schrau­ben der zwei­ten Säu­le. 

 

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